Selina Gnos: Mein Fenster Zur Welt
Das Zimmer ist dunkel, etwas Licht, nachts, wenn ich am Computer sitze, der helle Schirm.
Ich bin schon lang nicht mehr aus dem Zimmer gegangen. Manchmal, um Zigaretten zu holen, was zu essen, Bier in der Nacht.
Meine Welt rund um mich ist klein, aber ich dringe immer stärker in sie ein.
Meine Welt ist mein Computer und meine Leute sind meine vielen Doppelgänger, mit deren Namen und Identitäten ich mich durch das Netz bewege.
Ich bin wie eine Katze, die sich herumschleicht, die sich annähert, aber sobald man sie anfassen will, geht sie weg.
Ich bin auf der Suche. Nach was. Ich bin auf der Suche nach Dir.
Ich denke mir Personen aus, die werden ein Teil von mir. Sie sind oft besser als ich, forscher, schlagfertiger, verspielter. Sie können über alles diskutieren, ich eigne mir den Jargon an, ich lese mich ein in das, was das Internet hergibt. Kopieren, Einfügen und rein ins Forum. Sperrige Themen, die mich früher nie wirklich interessierten. Mich?
Ich weiß gar nicht mehr, wer ich wirklich bin. Man hat mich selten wahrgenommen. Und wenn, dann als irgendetwas blasses, das vom Hintergrund verschluckt wird. Das von anderen übertönt wird, das im Weg herum steht. Ich weiß nicht, wer sich an mich erinnert, und wenn es ein Bild gäbe, das sich in eine Erinnerung einschreiben würde, dann wäre das sicher nicht leuchtend.
Immer mehr bin ich zurückgewichen von dem, was die anderen sind, von dem wo die anderen sind.
Ich glaube, auch Du bist nicht sehr kontaktfreudig. Auch du tummelst Dich durch alle möglichen Foren im Internet, am Abend, wenn Du nach Hause kommst. Ich bin einmal vor Deinem Haus gestanden, ich habe herausgefunden, wo Du wohnst, das Haus ist zu groß für Dich allein. Aber Du bist da an Deinem Tisch gesessen, im hellen Licht, nur Du, und Du hast glücklich gewirkt. Macht es Dir nichts aus, wenn man Dir zuschauen kann beim alleine sein?
Ich verliebe mich in Leute, die ich vom Sehen her kenne, flüchtige Begegnungen. Sie sind mein einziger Kontakt zu dem, was man Aussenwelt nennt. Aber wenn es eine Aussenwelt gäbe, dann müsste es auch eine Innenwelt geben. Ich finde nicht einmal das Innen mehr. Meine Welt ist mein Raum, mein Computer, das bisschen Licht. Und das ist weder innen noch außen. Das ist irgendwo dazwischen, auf dem Weg zu Dir.
Du weißt nicht, dass wir immer in Kontakt sind.
Damals bist Du aus Deinem Büro getreten, es war Frühling, die Luft war feucht, und es dunkelte bereits. Den ganzen Tag hatte es geregnet, die Straße glitzerte unter dem spärlichen Licht, und die Autos waren mit leuchtenden Tropfen bestreut. Nur Dein Auto war weiß, als einziges, es sah aus wie mit Schnee bedeckt. Ungläubig hast Du die Hand ausgestreckt, und bist über dieses Weiß gefahren, aber es war nicht kalt, und du wusstest nicht, ob Du erschrecken solltest, weil es nicht kalt war. Und dann hast Du nach oben geschaut, und hast den Baum erblickt, der in voller Blüte stand. Du hast gelächelt, hast Dir die Hand an Deiner Hose abgewischt, und bist ins Auto gestiegen. Ich bin mir sicher, Deine Hand roch gut. Ich stand am Fenster im dunklen Zimmer. Ich gewöhnte mich an Deine Zeiten. Stand da, am Fenster, wenn Du aus Deinem Auto ausgestiegen bist, und Dein Büro aufgesperrt hast. Und als wäre es eine Schleife, stand ich wieder da, abends, wenn Du nach draußen auf die Straße tratst.
Eine Schleife im Haar mit Blüten bestickt, eine Schleife an meiner Hand und eine an Deiner, eine Schleife im Netz, die uns verbindet, deren unzählige. Welche lösen wir zuerst, damit eine andere, eine einzige stärker wird?
Oder manchmal gingst Du auch mal für eine Zigarette raus, aber die Zigarettenpausen funktionierten nicht nach einer Uhrzeit. Das ist Dein eigenes System, Dein eigener Rhythmus, etwas vom wenigen aus Deinem Leben, das mir fern blieb, das ich mir nicht aneignen konnte.
Ich war immer in Kontakt mit Dir.
Einmal haben wir uns getroffen. Aber Du hast nicht gewusst, dass ich das bin. Einen Brief brachte ich vorbei. Ich habe gesagt, Anna schickt mich. Anna hast Du im Kinoforum kennengelernt. Anna, die Dich immerzu anstachelte wegen Deinem Rotzbubenfilmgeschmack, und die Du schlussendlich kennenlernen wolltest. Anna, die Angst hatte, sich die Finger zu verbrennen, weil sie seit Jahren in Beziehung lebt, und die stattdessen ein unscheinbares Mädchen hinschickt, um Dir einen Brief zu hinterlassen. Anna, das war auch ich. Aber ich hätte die Anna nicht spielen können. Ich hätte nicht einmal die Kleider dafür gehabt.
Du hast nichts gesagt und ich habe nichts gesagt. Und dann bin ich wieder gegangen.
Woher wusstest Du, wo ich arbeite, hast Du später Anna gefragt. Ich bin gut im Beschaffen von Information, schrieb sie zurück.
Vom Mädchen, das ihn brachte, schriebst Du nichts.
Ich bin auch der Typ aus dem Newsforum, der Dich in Deinen Meinungen immerzu unterstützte. Ich war der Junge, der Dir lästige Fragen schrieb zu Deinem Apple, den Du auf ebay versteigern wolltest. Und der Typ, der Dein Auto kaufen wollte, das war auch ich. Im Internet haben wir gemeinsam gepokert, haben uns gegenseitig abgezockt. Den Kostenvoranschlag für eine Loggia habe ich erstellen lassen. Ich war die alte Dame mit der krakeligen Handschrift, die sich so schrecklich über Dein falsches Parken aufgeregt hat, und Dir deshalb immer Zettelchen mir Drohungen an die Windschutzscheibe geklebt hat. Die Architekturabsolventin, die sich bei Dir um ein Praktikum beworben hat, das war auch ich.
Und ganz nebenbei bin ich auch das Mädchen, das Dich immer vom Fenster aus angelächelt hat, und Du hast es nie wahrgenommen.
Und morgen werde ich zu Dir kommen. Frag nicht, wer dann kommt. Ich weiß es selbst nicht. Aber frag mich anderes. Frag mich, wie die Nächte riechen, wenn es Frühling wird, frag mich nach dem Brennen des Lichtes, wenn man vier Tage nicht mehr draußen war, oder frag mich, wer Du bist. Denn das weiß ich mittlerweile viel besser, als wer ich bin.
Selina Gnos, 2007
(Selina lebt und arbeitet in Wien)
Ich bin schon lang nicht mehr aus dem Zimmer gegangen. Manchmal, um Zigaretten zu holen, was zu essen, Bier in der Nacht.
Meine Welt rund um mich ist klein, aber ich dringe immer stärker in sie ein.
Meine Welt ist mein Computer und meine Leute sind meine vielen Doppelgänger, mit deren Namen und Identitäten ich mich durch das Netz bewege.
Ich bin wie eine Katze, die sich herumschleicht, die sich annähert, aber sobald man sie anfassen will, geht sie weg.
Ich bin auf der Suche. Nach was. Ich bin auf der Suche nach Dir.
Ich denke mir Personen aus, die werden ein Teil von mir. Sie sind oft besser als ich, forscher, schlagfertiger, verspielter. Sie können über alles diskutieren, ich eigne mir den Jargon an, ich lese mich ein in das, was das Internet hergibt. Kopieren, Einfügen und rein ins Forum. Sperrige Themen, die mich früher nie wirklich interessierten. Mich?
Ich weiß gar nicht mehr, wer ich wirklich bin. Man hat mich selten wahrgenommen. Und wenn, dann als irgendetwas blasses, das vom Hintergrund verschluckt wird. Das von anderen übertönt wird, das im Weg herum steht. Ich weiß nicht, wer sich an mich erinnert, und wenn es ein Bild gäbe, das sich in eine Erinnerung einschreiben würde, dann wäre das sicher nicht leuchtend.
Immer mehr bin ich zurückgewichen von dem, was die anderen sind, von dem wo die anderen sind.
Ich glaube, auch Du bist nicht sehr kontaktfreudig. Auch du tummelst Dich durch alle möglichen Foren im Internet, am Abend, wenn Du nach Hause kommst. Ich bin einmal vor Deinem Haus gestanden, ich habe herausgefunden, wo Du wohnst, das Haus ist zu groß für Dich allein. Aber Du bist da an Deinem Tisch gesessen, im hellen Licht, nur Du, und Du hast glücklich gewirkt. Macht es Dir nichts aus, wenn man Dir zuschauen kann beim alleine sein?
Ich verliebe mich in Leute, die ich vom Sehen her kenne, flüchtige Begegnungen. Sie sind mein einziger Kontakt zu dem, was man Aussenwelt nennt. Aber wenn es eine Aussenwelt gäbe, dann müsste es auch eine Innenwelt geben. Ich finde nicht einmal das Innen mehr. Meine Welt ist mein Raum, mein Computer, das bisschen Licht. Und das ist weder innen noch außen. Das ist irgendwo dazwischen, auf dem Weg zu Dir.
Du weißt nicht, dass wir immer in Kontakt sind.
Damals bist Du aus Deinem Büro getreten, es war Frühling, die Luft war feucht, und es dunkelte bereits. Den ganzen Tag hatte es geregnet, die Straße glitzerte unter dem spärlichen Licht, und die Autos waren mit leuchtenden Tropfen bestreut. Nur Dein Auto war weiß, als einziges, es sah aus wie mit Schnee bedeckt. Ungläubig hast Du die Hand ausgestreckt, und bist über dieses Weiß gefahren, aber es war nicht kalt, und du wusstest nicht, ob Du erschrecken solltest, weil es nicht kalt war. Und dann hast Du nach oben geschaut, und hast den Baum erblickt, der in voller Blüte stand. Du hast gelächelt, hast Dir die Hand an Deiner Hose abgewischt, und bist ins Auto gestiegen. Ich bin mir sicher, Deine Hand roch gut. Ich stand am Fenster im dunklen Zimmer. Ich gewöhnte mich an Deine Zeiten. Stand da, am Fenster, wenn Du aus Deinem Auto ausgestiegen bist, und Dein Büro aufgesperrt hast. Und als wäre es eine Schleife, stand ich wieder da, abends, wenn Du nach draußen auf die Straße tratst.
Eine Schleife im Haar mit Blüten bestickt, eine Schleife an meiner Hand und eine an Deiner, eine Schleife im Netz, die uns verbindet, deren unzählige. Welche lösen wir zuerst, damit eine andere, eine einzige stärker wird?
Oder manchmal gingst Du auch mal für eine Zigarette raus, aber die Zigarettenpausen funktionierten nicht nach einer Uhrzeit. Das ist Dein eigenes System, Dein eigener Rhythmus, etwas vom wenigen aus Deinem Leben, das mir fern blieb, das ich mir nicht aneignen konnte.
Ich war immer in Kontakt mit Dir.
Einmal haben wir uns getroffen. Aber Du hast nicht gewusst, dass ich das bin. Einen Brief brachte ich vorbei. Ich habe gesagt, Anna schickt mich. Anna hast Du im Kinoforum kennengelernt. Anna, die Dich immerzu anstachelte wegen Deinem Rotzbubenfilmgeschmack, und die Du schlussendlich kennenlernen wolltest. Anna, die Angst hatte, sich die Finger zu verbrennen, weil sie seit Jahren in Beziehung lebt, und die stattdessen ein unscheinbares Mädchen hinschickt, um Dir einen Brief zu hinterlassen. Anna, das war auch ich. Aber ich hätte die Anna nicht spielen können. Ich hätte nicht einmal die Kleider dafür gehabt.
Du hast nichts gesagt und ich habe nichts gesagt. Und dann bin ich wieder gegangen.
Woher wusstest Du, wo ich arbeite, hast Du später Anna gefragt. Ich bin gut im Beschaffen von Information, schrieb sie zurück.
Vom Mädchen, das ihn brachte, schriebst Du nichts.
Ich bin auch der Typ aus dem Newsforum, der Dich in Deinen Meinungen immerzu unterstützte. Ich war der Junge, der Dir lästige Fragen schrieb zu Deinem Apple, den Du auf ebay versteigern wolltest. Und der Typ, der Dein Auto kaufen wollte, das war auch ich. Im Internet haben wir gemeinsam gepokert, haben uns gegenseitig abgezockt. Den Kostenvoranschlag für eine Loggia habe ich erstellen lassen. Ich war die alte Dame mit der krakeligen Handschrift, die sich so schrecklich über Dein falsches Parken aufgeregt hat, und Dir deshalb immer Zettelchen mir Drohungen an die Windschutzscheibe geklebt hat. Die Architekturabsolventin, die sich bei Dir um ein Praktikum beworben hat, das war auch ich.
Und ganz nebenbei bin ich auch das Mädchen, das Dich immer vom Fenster aus angelächelt hat, und Du hast es nie wahrgenommen.
Und morgen werde ich zu Dir kommen. Frag nicht, wer dann kommt. Ich weiß es selbst nicht. Aber frag mich anderes. Frag mich, wie die Nächte riechen, wenn es Frühling wird, frag mich nach dem Brennen des Lichtes, wenn man vier Tage nicht mehr draußen war, oder frag mich, wer Du bist. Denn das weiß ich mittlerweile viel besser, als wer ich bin.
Selina Gnos, 2007
(Selina lebt und arbeitet in Wien)
Commentaires
thank you for passing by... and thank you for your messages...
wann werden wir uns lieben ?
vielleicht in neun jahren werden wir auf uns wartend warten um wieder auf uns zu warten neun jahre kurz....