Spirale . Tusche

Ich zeichne in einem langatmigen und konzentrierten Vorgang eine Spirale, welche nach und nach das meist grossformatige Papier ausfüllt, oder vielleicht besser ausgedrückt: durchquert. Natürlich handelt es sich nicht um eine quere Bewegung, sondern um eine runde. Trotzdem ist es so, dass die Linie einen Weg zurücklegt, von innen nach aussen. Wie wenn ein grosses Feld durchquert wird.
Ich zeichne von Hand, mit Pinsel und Aquarell oder Tusche. Wenn ich mich vollkommen konzentriere, wird die Pinselspitze Teil meines Körpers. Sowohl Teil meiner Hand, als auch Teil meiner Augen. Meine Gestik wird durch meinen Blick und meinen Atem gesteuert. Das Papier reagiert auf die Tusche wie mein Atem auf die Bewegung. Die Tusche setzt sich zwischen dem Papier und dem Pinsel ab, so wie sich die runde Bewegung von meinem Körper freisetzt. Meine Augen folgen ausschliesslich der Pinselspitze, und deren Abstand zur vorangehenden Linie. Etwas anderes kann ich nicht erfassen. Meine Welt besteht aus Augen, Atem und Pinselspitze. Die Bewegung, leise, konstant, ist auch präsent, aber ich bin mir ihrer nicht bewusst.


Sobald ich den Blick hebe, mir Übersicht zu verschaffen suche, oder wenn eines meiner untergeschlagenen Beine nach Bewegung oder mein vergessener Körper nach Aufmerksamkeit verlangt, verliere ich den Kontakt zur aktuellen Linie, zum Jetzt in gewisser Weise.
Der Reibestein ist schwarz, samtig poliert, leicht schimmernd. Er wiegt schwer in der Hand, kalt. Der Tuscheblock ist auch schwarz, etwas violettlich, aber eher porös und leicht. Er ist zu klein als dass ich ihn gut mit meiner Hand umschliessen könnte, ich halte ihn zwischen den Fingern und reibe senkrecht mit wenig Wasser über die glatte Oberfläche des Steins. Sehr rasch entsteht eine etwas ölig wirkende Tinte, zuerst ist sie sehr dünn, mit der Zeit verändert sich ihre Konsistenz. Ich halte mich gerade. Möchte die Beine nicht überschlagen, um mich möglichst symmetrisch im Raum zu befinden. Mein rechter Arm ist mit dem Reiben der Tusche beschäftigt, der Unter- und Oberarm bilden einen rechten Winkel, ich achte darauf, mich in den Schultern nicht zu verkrampfen. Die linke Hand liegt reglos auf dem Tisch. Von Zeit zu Zeit umschliesst sie den Reibestein, wie um die Haltung des ganzen Körpers auszugleichen. Die Atmung soll regelmässig sein. Ich möchte an nichts denken. Die Hände benehmen sich natürlich, autonom. Im Schulterbereich wird mir eine leise Spannung bewusst. Ohne die Reibebewegung zu unterbrechen, versuche ich mich selbst von dieser Spannung zu lösen. Ich bringe meine Füsse in eine gerade Position. Die Flüssigkeit wird schwarz und etwas träge. Die Tinte ist gekraust durch das Kommen und Gehen des Tuschesteins, durch die Reibung auf dem Stein, trotzdem kann ich die Spiegelung des umgebenden Raums darin erahnen. Der dunkle, etwas schwere, fast erotische Geruch der Tusche durchdringt mein Bewusstsein. Natürlich denke ich an diverses, an Dinge, die ich tun sollte, andere, die ich tun möchte. Ich versuche, meine Konzentration auf das flüssige Schwarz zu bringen, zu fokussieren, zu versenken. Auf die Senkrechte des Tuscheblocks. Auf den geraden Rücken. Auf die Füsse auf dem Boden. Auf die linke ruhige Hand.
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Ich nehme einen Pinsel und tauche seinen haarigen Kopf in das Schwarz. Die Tusche klettert, gleitet langsam von der Spitze in Richtung der Zwinge. Das Haar färbt sich schwarz, violett, dunkel. Ich halte auch den Pinsel senkrecht, genau wie meinen Oberkörper. Sorgfältig forme ich den Pinselkopf indem ich ihn über den Rand des Tuschesteins drehe, damit er möglichst viel Tinte aufnehmen kann, ohne diese in Form von Tropfen zu verlieren. Der Pinselkopf ist wie ein kleines Tier, er holt Luft in der Flüssigkeit, und gleitet dann regelmässig dank der aufgenommenen Tusche über das Papier. Wenn die Flüssigkeit ausgeht, kehrt er zur Flüssigkeit zurück.





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